Arhun Aksakal kam wegen der Landschaftsmalereien nach Willingshausen. Silhouetten sanfter Hügel, Himmel, die durch Wolkenformationen gezeichnet – Landschaften, die durch Felder und Wiesen, Wälder, Wege und Flüsse strukturiert sind. Mit Heuschobern und Hochsitzen als Landmarken, die romantische Vorstellungen von Jagd und die Ernte ins Bild holen. Sie entstanden auch zu Zeiten in denen der Krieg die Landschaft traumatisierte und einen anderen Blick auf sie prägte. Als Grenzen bestimmten wo der eigene Bewegungsradius anfing und wo er endete. Als die Stellung des Feindes das eigene Land in sichere – und Gefahrenzonen teilte und sanfte Hügel Deckung versprachen, wenn man sich dahinter flach auf den Boden legte.
Im Zentrum von Arhun Aksakals Ausstellung steht in der Kunsthalle Willingshausen das Bild „U-Boot Krieg/Der totale Krieg/Verlorene Erde“ von Franz Radziwill das zwischen 1939 und 1960 entstand. Die Infrarot Reflektografie Aufnahme des Doerner Instituts in München macht die tieferliegenden Schichten des Gemäldes und somit die unterschiedlichen Phasen der Entstehung sichtbar. Einer Landschaft mit tobender See wurden ein U-Boot, ein Kampfflugzeug und später eine Engelsgestalt hinzugefügt. Die Wandlung des Bildes gibt nicht nur Aufschluss über die Entstehungsgeschichte, sondern erlaubt auch einen mehrdimensionalen Blick, auf die Veränderung des mentalen Zustands eines Malers, der selbst beide Weltkriege durchlebt hat.
Arhun Aksakals künstlerische Arbeit ist in Willingshausen noch an zwei weiteren Orten zu sehen. Die verchromten Silageballen in der ehemaligen Schlachterei gegenüber der Kunsthalle können als zeitgenössische Reminiszenz an die Heuschober gelesen werden, die ein häufiges Sujet historischer Landschaftsmalereien sind. Die Verchromung lässt ihre Umgebung in sie einspiegeln und macht so nicht nur sie unsichtbar, sondern auch jene, die dahinter Schutz suchen. Im Garten des Barons von Schwertzell zu Willingshausen steht ein Hochsitz, dessen Holz angeflämmt wurde wie die Balken der Fachwerkhäuser, die das Bild der Region prägen. Die vermeintliche Zerstörung lässt das Holz stark und widerstandsfähig werden.
Arhun Aksakal nutzt diese Arbeiten um über die Wandlung der Ansichten von Friedens- zu Kriegslandschaften, den Blick auf die Menschen zu richten. Junge Menschen, die nicht nur damals in Deutschland, sondern auch heute in der Ukraine und im Gaza Streifen zu Akteuren eines Kriegs und damit zu Tätern werden. Der Ausstellungstitel „All guts no glory“ lässt sich wortwörtlich mit „Nur Eingeweide keine Ehre“ übersetzen. Er lässt die Opfer der jungen Soldaten bildlich erscheinen, die bereit sind für ihr Land ihr Leben zu lassen. Doch die „guts“ stehen im englischen eigentlich für den Mut, mit dem man sie einsetzt. Was bleibt wenn der Krieg vorübergezogen ist offenbart sich nicht nur beim Zählen der Opfer, die ihren Körper für „höhere“ Ziele hergaben. Denn was geschieht mit jenen, die bereit sind ihre Leben für die Ehre zu geben und am Ende mit dem Leben aber ohne die Ehre davonkommen? Die den Krieg und ihren Beitrag dazu in den Frieden tragen, in ein Schweigen und Vergessen, von dem man hofft, dass es das Gras über die Sache wachsen lässt. Krieg traumatisiert Menschen und Landschaften und lässt sie auch im Frieden nicht los.
Arhun Aksakal hat diesen Sommer nach Stationen in Kassel, Kurdistan und Venedig, sein Studium an der Städelschule in Frankfurt am Main abgeschlossen. In seiner Arbeit inszeniert er Materialien, die als stumme Zeugen von Umbrüchen und Umständen fungieren, um daran politische und geologische Besonderheiten sichtbar zu machen.
Für den Besuch Außenstandorte der Ausstellung wird um eine schriftliche Anmeldung in der Kunsthalle Willingshausen gebeten.
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In the exhibition „ALL GUTS NO GLORY“our fellow Arhun Aksakal is showcasing new works at three locations in Willingshausen, exploring the altered perspectives on landscapes during times of war and the mental state of those involved.
Arhun Aksakal was drawn to Willingshausen by the landscape paintings of the artist colony. His motifs include the silhouettes of gentle hills, skies painted by cloud formations, and landscapes structured by fields, meadows, forests, paths, and rivers. The imagery incorporates landmarks such as haystacks and high seats, evoking romantic notions of hunting and harvest. These paintings originated during times when war traumatized the landscape, shaping a different perception. Borders delineated one‘s range of movement, and the enemy’s position divided one‘s land into safe and perilous zones, with gentle hills offering cover when lying flat on the ground.
At the center of Arhun Aksakals presentation in the Kunsthalle Willingshausen is the painting „U- Boot Krieg/Der totale Krieg/Verlorene Erde“ by Franz Radziwill, created between 1939 and 1960. The infrared reflectography and X-ray imaging of the Doerner Institute in Munich reveals the underlying layers of the painting, exposing different phases of its creation. A landscape with a raging sea had a submarine, a fighter plane, and later an angelic figure added. The transformation of the painting not only sheds light on its history but also allows a multidimensional perspective on the evolution of the mental state of a painter who lived through both World Wars.
The chrome-plated silage bales displayed in the former slaughterhouse opposite the Kunsthalle can be interpreted as a contemporary homage to the haystacks frequently depicted in historical landscape paintings. The chrome finish reflects their surroundings, rendering not only the bales but also those seeking shelter behind them invisible.
In Baron von Schwertzell zu Willingshausen‘s castle garden, Aksakal presents a high seat with charred wood – reminiscent of the beams of half-timbered houses that characterize the region. The apparent destruction renders the wood robust and resistant.
Arhun Aksakal utilizes the exhibition to shed light on the transformation of perspectives from peaceful to wartime landscapes, directing attention to those who, then and now, became actors in war at a young age. The exhibition title, „ALL GUTS NO GLORY” literally represents the sacrifices of young soldiers willing to give their lives for their country. However, in English, „guts” also signify the courage with which they are deployed. What remains after the war has passed is revealed not just in counting the casualties who sacrificed their bodies for „higher“ goals. It delves into the fate of those willing to sacrifice their lives for honor, only to emerge from the conflict with life but without honor. They carry the war and their contribution to peace into silence and oblivion, hoping that time will let grass grow over the matter. As the works in the exhibition demonstrate, war traumatizes both people and landscapes, lingering even in times of peace.
This summer, Arhun Aksakal completed his studies at the Städelschule in Frankfurt am Main, following stints in Kassel, Kurdistan, and Venice. In his work, he orchestrates materials as silent witnesses of upheavals and circumstances, making political and geological peculiarities visible.