Susanne Wagners künstlerischen Arbeiten liegt eine performative Haltung zugrunde. Allerdings sind bei ihr Handlung und Aufführung nicht identisch. Meist gehen die Prozesse und Handlungen auf in ein Ergebnis, d.h. die Performance endet in Skulptur oder inszeniertem Raum, Fotografie, Video oder Text. Alle diese Medien hat sie sehr differenziert auf ihre medienspezifische Sprache hin reflektiert und alle nutzt sie sowohl als Medium als auch als Aufführungsort. Die Strenge, mit der sie dabei z.B. die Arbeiten „Vom Zaudern“ 2013 im Raum arrangierte, ist dabei nicht Ausdruck von radikaler Ordnung, sondern eine poetische Sprache, eine von Genauigkeit im Diskurs.
Als sie nach Willingshausen kam, hatte Susanne Wagner vor, Orte zu finden, die ihr Bühne sein könnten. Wer und was da auftreten könnte, sollte der Ort, sollten die Leute, sollten Dinge entscheiden, denen sie begegnet. Sie hat dann gezeigt bekommen, was die Schwalm so besonders macht: die lange Tradition und die hohe Kultur der Trachten. Aber sie hat sich mehr für das Vorzeigen der Stoffe, aus denen sie hergestellt sind, interessiert, dafür, wie man damit umgeht, wie man sie anfühlt, hält, faltet, wie man lose Bänder mit Nadeln zu einem „Brett“ steckt und so weiter. Vorgänge, die sie performativ, skulptural und in ihrer Widersprüchlichkeit auch emotional interessierten.
Im Fotoarchiv von Willingshausen sind ihr die Hände und Armhaltungen aufgefallen, mit denen die zur Pose aufgestellten Personen abgelichtet sind, weil sie ein Stück Person zeigen neben der Repräsentation. „Mich haben, wie bei den ordentlich bestickten Stoffen, die Rückseiten, interessiert. Es gab zum Beispiel mal eine Frau, die mit siebzehn Röcken zur Kirmes ins Nachbardorf gegangen ist. Die Aufmachung markierte ihren hohen sozialen Status, gleichzeitig versuchte sie, dem herrschenden Schönheitsideal gerecht zu werden, weil sie zierlich und schmal war. Wenn man sich dann klar macht, dass ein Rock aus circa 3 Metern schwerem Beiderwand-Stoff gemacht ist, kann man sich den körperlichen Kraftakt dieser Unternehmung vorstellen. An dieser Geschichte interessiert mich die Verstrickung von materiellen Zeichen und sozialen Hierachien, physisch-körperlichen Handlungen und Objekten, wie der Rockskulptur, und die emotionalen Zustände, die sich daraus ergeben können.“
Die entstandenen Texte sind Fragmente aus Gesprächen und Beschreibungen. Gleichzeitig brechen sie hinüber in eine fiktive Welt von Wünschen vom Anders-Sein, vom Woanders-Sein. Susanne Wagner hat die Texte auf die Wand geschrieben, da wo man eigentlich Bilder erwartet. Ähnlich ist sie mit alltäglichen Gegenständen umgegangen. Deren Gebrauch wird zu einer widersprüchlichen Erfahrung, denn sie sind in einer ungewöhnlichen Selbstverständlichkeit falsch. Drei Paar Männer- und Frauen-Schuhe stehen im Kreis. Ein zweiter Blick verrät, die Schuhe haben eine schräge Sohle, sodass ihre Träger genötigt werden, im Kreis zu gehen. Drei Tonkrüge stehen auf einem Glastisch, dessen Füße aus einem umgedrehten Melkschemel gebildet sind. Wie gewohnt zeigen sie, wo man sie anfassen kann, wo der Ausguss ist. Aber wie kann man mit Ihnen umgehen und wofür sie nutzen, wenn es zu viele Henkel und Ausgüsse sind, und sie nicht angebracht sind, wie es angebracht wäre?
Die Halle, die anfangs nur sparsam gefüllt zu sein schien, wird langsam eng. Dass die Stimmung nicht umschlägt in ein Gefühl der Enge, ist der großen Empathie Susanne Wagners zu verdanken, der das Menschliche wichtiger ist als das Agitatorische.
Oder anders: Der Ausstellungsraum wird zur Bühne, und man ist hineingenommen in ein Stück, ohne illusionistische Erzählung. Bilder, Objekte, Texte – das Tuch als Vorhang und Requisite werden Spiel-Elemente,werden zu Protagonisten, die uns als Betrachter aufführen.
Text: Bernhard Balkenhol
Bild: Susanne Wagner, Markus Kämmerer