Kunsthalle Willingshausen
Mit einer seltsamen Entdeckung beendet Jana Lange, die aktuelle Stipendiatin in Willingshausen, ihren drei monatigen Arbeitsaufenthalt in der Künstlerkolonie: In der Marmelade schwimmen Fische. Wie das? Hat Jana Lange, die Künstler-Fotografin, das tatsächlich mit dem Kamera-Auge gesehen oder hat das ihr kleiner Sohn Jaro beim Frühstück entdeckt?
Um Fische in der Marmelade schwimmen zu sehen, muss man sehr genau hinsehen. Und das kann Jana Lange.
Schon sehr lange und sehr intensiv wirft sie ihren Blick auf Tiere und Menschen, auf Orte und Situationen, und erforscht, wie empathisch, wie einfühlsam sie sich verhalten kann mit ihrer Kamera. So zeugen ihre Bilder von einer unglaublichen Nähe. Das Auto z.B. und die Fotografin sehen sich in die Augen. Das Fell eines Tieres nimmt sie auf, wie sie die eigene Haut fühlt. Die Körperhaltung des Anderen – ob Tier oder Mensch, im Ausschnitt konzentriert, nimmt offenbar ihre Befindlichkeit an. Und gleichzeitig macht sie mit ihren Bildern bewusst, wer wen und wie ansieht – und sich ansehen lässt.
Die gegenseitige Wahrnehmung aber ist ihr nicht nur ein fotografisches Ereignis, sie versteht ihre Auseinandersetzung durchaus als eine politische. „Anima“ (2012), ihre Abschlussarbeit, schreibt sie, „ist eine Arbeit über das Sein – über das Mensch-Sein und über das Tier-Sein. Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Über Ambivalenzen, über das Tier in mir, der Mensch als Tier.“ Sie forscht über die Ausbeutung der Tiere für den Menschen, über Massentierhaltung und Konsumverhalten. „Heute essen wir Fleisch, aber keine Tiere mehr“, schreibt sie.
Für ihr Stipendium in Willingshausen hatte Jana Lange sich vorgenommen, „nach Alternativen zu suchen, nach Möglichkeiten mit der Natur, mit den Tieren im Einklang, in einer Gemeinschaft zu leben.“ Sie hat den dortigen Bioland Hof Dorfmühle besucht, um zu sehen, was artgerechte Tierhaltung ist, was Respekt vor der Natur und dem Tier heißt, bis hin zu der radikal gestellten Frage: „Kann man ein Tier respektvoll töten?“.
Aber Jana Lange startet keine fotografische Kampagne für den Tierschutz oder gegen die Fleischesser. Vielmehr geht es ihr um den respektvollen und genauen Blick und um Anteilnahme. Und so ging es ihr, als sie nach Willingshausen kam, wie Goethe, der bemerkte, dass der Gegenstand, je genauer man ihn betrachtet, sich immer mehr entfernt.
Der Weg ins Dorf aber führte sie nicht nur in die absolute Nähe sondern gleichzeitig hinaus ins Weltall. Ihre Abschlussausstellung zeigt einen Dialog von Aufnahmen, in denen man das Kornfeld oder das Fell einer Kuh fast riechen kann, und daneben Aufnahmen aus der Perspektive eines Satelliten, wo der Ausbruch eines Vulkans aussieht wie der Rauch von einem Lagerfeuer. Und je mehr dieser Blick die Welt relativiert und den Betrachter ins Staunen versetzt, umso mehr ist es wahrscheinlich, dass in der Marmelade Fische schwimmen.
Text: Bernhard Balkenhol
Bild: Jana Asendorf