Break a Leg!
Residencys und Erholung.
Die Ausstellung New Energy ist das Resultat eines dreimonatigen Stipendiums von Thilo Jenssen in Willingshausen, Deutschland. Die bunt glänzenden, monochromen Bilder und die Landschaftsfotografie, die gezeigt werden, sind von einem wirklichen Bedürfnis des Künstlers nach Ruhe und Erholung inspiriert, nachdem er in den Wochen vor seinem Aufenthalt verletzt worden war. Selbst wenn man nicht sonderlich abergläubisch ist, ist Thilo Jenssens Unfall, bei dem ihm ein Grabstein auf sein Bein gefallen ist und es schwer gebrochen hat, genug um ein kurzes Frösteln auszulösen. Seine temporäre Arbeitsunfähigkeit spiegelt seltsamerweise das Schicksal des Gründers der Residenz, Gerhardt von Reutern wider, der sich in Willinghausen niederließ, um zu malen und sich zu erholen, nachdem er seinen rechten Arm in der Völkerschlacht bei Leipzig 1814 verloren hatte.
Jenssen hatte ein Ziel vor Augen: New Energy. Er machte ausgiebige Spaziergänge in der malerischen Natur von Willingshausen, um dort seine fotografischen Arbeiten zu schießen. Die daraus resultierenden Aufnahmen von blauen Himmeln und gelben Kornfeldern sind so visuell verführerisch und banal wie Stock Fotos. Der Grund dafür ist, wie bei vielen Hobbyfotografen, dass technische Exzellenz über jeder Art von technischen oder ästhetischen Belangen steht.
Das Interesse des Künstlers an der Materie entsprang der ursprünglichen Konzeption von Residencys und was passiert, wenn er diese zu seinem Ausgangspunkt machen würde. Was würde passieren, wenn er wie Gerhardt von Reutern versuchte, Kunst zu machen, die seinen müden Körper ausruhen und seine Seele verjüngen ließe? Dabei denke ich an eine Aussage, die der Kritiker Dominikus Müller, Anfang 2016 in dem Magazin frieze d/e getroffen hat: „Kunst kann heute alles sein: research-gestützte Ersatzwissenschaft und Instagram-Incentive, kreativer Polit-Protest”. „Sie darf alles sein, nur nicht eins. Nämlich ehrliche, ernst gemeinte und subjektiv-wahrhaftige Therapie.”[1] Das Argument von Müller zusammenzufassend: Um ernst genommen zu werden, darf Kunst nicht einfach Selbstausdruck sein, sondern muss ein begleitendes Konzept haben, das entweder intellektuell, politisch, theoretisch oder kommerziell ist. Ohne dieses Konzept wird die besagte KünstlerIn nicht ernst genommen und auf die oft verspottete Position der “SonntagsmalerIn” verwiesen.
In der Ausstellung selbst flirtet Jenssen immer wieder mit der Idee der Hobbymalerei, hält aber eine ironische Distanz dazu. Ein Beispiel sind die Dokumentationsfotos, die seine monochromen Leinwände in der Natur darstellen, die sie inspiriert haben. So werden die Sprühfarben und glänzenden Klarlack Bilder mit dem Titel green (alle Werke 2016) und blue sky – blue mood vor dem Hintergrund von Bäumen und einem fast wolkenfreien Himmel fotografiert und erinnern an altmodische Maler-Enthusiasten, die ihre Staffelei mit nach Draußen nehmen, um direkt vom Leben zu malen.
Andere Malereien (in Zusammenarbeit mit René Wagner) wurden mit einer ähnlichen Flüssigkeit gemacht, die in sogenannten Stimmungsringen gefunden werden kann, welche je nach Temperatur des Trägers die Farbe ändert und seinen emotionalen Zustand offenbaren. Rise fall and rise again zeigt Farben die langsam von einem Aztekenblau zu einem Kanariengelb übergehen; das Bild kommt im Ausstellungsraum voll zur Geltung, nachdem eine Heizung, die sich regelmäßig ein- und ausschaltet, vor der Malerei positioniert wurde. Mit jedem Zyklus wird das Bild in seinem ursprünglichen Zustand “wiederhergestellt” und reproduziert damit den Erholungsprozess des Malers nach dem vermeintlich therapeutischen Akt der Kunst.
Was diese Werke von denen unterscheidet, die nur therapeutisch sein wollen, ist die Tatsache, dass sie nicht nur Produkte von Selbstdarstellung sind, sondern ein Bewusstsein für die von Müller beschriebenen “Begleiterscheinungen” zeigen.
Text: Chloe Stead
Bild: Thilo Jenssen
[1] Dominikus Müller, ‘Tune in, Burn Out’, frieze d/e 23, 2016