Das körperliche Empfinden von Sicherheit ist für Menschen und andere Lebewesen mit einem Nervensystem zentral für das Erleben ihrer Umwelt. Unsere Sinne scannen unbewusst ständig die Umgebung nach Komfort- oder Gefahrenquellen. Diese Signale lösen eine neurobiologische Reaktion aus: Der Körper spannt sich an und bereitet sich so auf Flucht oder Angriff vor oder er lockert und entspannt sich. Das Gehirn versucht dann die Reaktion zu erklären und erfindet eine Geschichte zum physischen Erleben. Das Empfinden von Gefahr und Unsicherheit und der damit verbundene Drang unangenehme Gefühle zu erklären regt seit jeher die Fantasie an. Im Kontext der Zeit in Willingshausen hat Elio J Carranza in Zeichnungen, Erzählungen, und Sprüchen aus unterschiedlichen Zeiten Aspekte untersucht, die scheinbar unzähmbare gefährliche Kräfte oder ängstliche Körperzustände verbildlichen.
Die Ausstellung „Qualmende Krallen“ lädt ein sich auf ein gewisses Unbehagen einzulassen. Sechs hängende Skulpturen fordern zum Schaukeln auf, zum Schwingen bis zum Kippmoment, in dem der Magen kurz einen Satz macht. Die Schaukeln sind aus ausgedienten Grubberkrallen zusammengeschweißt. Sie lassen an Arbeit denken, eine Komponente, die vielen im Alltag Sicherheit schenkt. Denn Arbeit dient meist nicht nur dazu den Lebensunterhalt zu sichern, sondern füllt auch einen Großteil der Zeit, gibt eine Routine und einen vertrauten Ort – den Arbeitsplatz. Regionaltypische Sprüche wie „Sich regen bringt Segen“ oder „Wer rastet der rostet“ verdeutlichen eine strenge Arbeitsmoral, in der Körper ihren Wert durch ihre Funktionstüchtigkeit erhalten.
Ein weiterer Teil der Ausstellung ist ein Video, in dem eine Infrarot Nachtsichtkamera alltägliche, häusliche Details abtastet. Der suchende Blick dieses übermenschlichen Auges zeigt eine Außensicht auf regional traditionelle Symboliken. Das Video vermittelt durch die Nahaufnahmen die Unheimlichkeit, die den zeitlos romantischen Motiven bei näherem Hinsehen innewohnt. „Qualmende Krallen“ beabsichtigt durch eine Erweiterung von Perspektiven das Gewohnte in Sehkonventionen zu hinterfragen.
Elio J Carranza hat das Studium der Bildenden Kunst und Visuellen Kommunikation an der Kunsthochschule Kassel 2021 abgeschlossen und 2023 am Sandberg Instituut in Amsterdam ein postgraduales Studium absolviert. Elio J Carranza’s Praxis beschäftigt sich interdisziplinär mit den Grenzen spekulativer Vorstellungskraft, transformativen Körperlichkeiten und kritischer Pädagogik.