Vernacular AmbitionMax Hänisch24.11.23.12.2018

Kunsthalle Willingshausen

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Max Hänisch zeigt großformatige Fotografien von Bergsteiger_innen. Auf eine Gaze gedruckt, verweigern sie sich fast der Anschauung, denn je näher man hingeht, desto mehr sind sie nicht mehr lesbar – ein Wahrnehmungs-Nebel. Man sieht einen Kletterer, der, die sportliche Arbeit verklärend, sich auf dem Felsenkamm gegen den Himmel in Pose stellt. Zwischen die in den Raum gehängten Fotografien hat Max Hänisch zwei Basaltblöcke mit der Inschrift „mens insana in corpore sano“ gelegt. Er hat dieses Zitat des römischen Dichters Juvenal gezielt verändert, denn im Original heisst es: „mens sana in corpore sano“. Allerdings ist auch das richtige Zitat gezielt verändert und missbraucht worden mit der falschen Übersetzung: In einem gesunden Körper wohnt auch ein gesunder Geist. Der Körperkult in den „Muckibuden“ und die normativen Schönheitsvorstellungen, die in den Medien verbreitet werden, macht dieses Missverständnis zum Märchen – und profitabel. Gemeint war von Juvenal, wenn man den erste Satzteil hinzunimmt: „orandum est ut sit …“, dass es keinen Sinn macht, die Götter zu bitten, den Menschen Gesundheit zu verleihen, denn das müssen die Menschen schon selber machen, in der richtigen Balance von Körper und Geist, die man dann gesund nennen könnte. 

Max Hänisch macht mit diesen beiden Basaltblöcken und ihrer Inschrift die Fotografien zu Teilen eines Environments. Die Leichtigkeit und Transparenz der Bilder wirken gegenüber den schweren Steinen, die er dem Ort der Inszenierungen entnommen hat, wie ein Nebel. Mit den Motiven auf den Bildern entsteht der Eindruck einer begehbaren Berglandschaft. Das korrespondiert mit den Fotografien an der Wand, die den Himalaya zeigen, vor den sich ein Nebel geschoben hat. Dramatisch unerreichbar erscheint das Massiv und in mystischem Licht – eine genuin romantische Sichtweise, die an den „Wanderer über dem Nebelmeer“ von Caspar David Friedrich denken lässt. 

Max Hänisch ist Marathonläufer – aber das nicht nur als Leistungssportler. Es geht ihm darum, die Grenzen des Körpers kennenzulernen und auszutesten, um an die sinnlichen und sinnhaften Brüche zu gelangen, die an und hinter dieser Grenze auftauchen. Disziplin und Ausdauer ist dann nicht eine sportliche Voraussetzung und Forderung, sondern ein Moment der Selbstbeobachtung und Reflexion. Beim Bergsteigen spürt er eine ähnliche Faszination. Die körperliche Anstrengung wird belohnt durch ständig sich verändernde Blicke und Landschaften, das „Schauspiel der Natur“, und durch das erhabene Erlebnis, sich schließlich „auf dem Gipfel“ zu fühlen. 

VERNACULAR AMBITION wie Max Hänisch seine Ausstellung überschrieben hat, ist in doppeltem und widersprüchlichem Sinne gemeint. vernacular = alltäglich, g e wöhnlich, traditionell, im unteren Durchschnitt, hat einen eher negativen Beigeschmack und in Verbindung mit ambition = Ambition, Absicht, Ehrgeiz, Engagement aber etwas Herausforderndes. Eindeutig dagegen ist die Bedeutung des gesprayten Schriftzuges an der Wand BY FAIR MEANS. Ohne Sicherheitsgurte geht es hier ins Gebirge. 

Nur scheinbar stehen die wilden Partyfotos dazu im Gegensatz. Wenn Männer und Frauen „pogo“ tanzen, wie in dem Bildauf der Rückwand in der Ausstellung, und sich von der Musik in grobe und lustvolle Rücksichtslosigkeit treiben lassen, dann ist das auch ein völliges Sich-Veraus-gaben – ambition. Wie der Wanderer im Gebirge muss der Tänzer in der Disco oder im Partykeller „voll drin“ und „volldrauf“ sein. Voraussetzung ist das Los-lassen und Sich-Vergessen. Und auch darin wird es wieder ganz banal: der Rhythmus die Bässe, der Gesang und die schreienden Gitarren treiben die Tänzer, sie schwitzen, die Kleidung verrutscht, sie stolpern und fallen, es tut weh. Das ist halt so beim Pogo- Tanzen, beim Mitgrölen, Saufen – vernacular. Geht man von diesem Bild, das in seinem Auftritt einen eigenen Raum schafft, zurück in die Ausstellung, dreht sich die Stimmung, und man ist aufgefordert, die gesamte Installation noch einmal ohne Nebel(-Maschine) in die Sicht zu nehmen.

Text: Bernhard Balkenhol
Bild: Max Hänisch

byfairmeans.net